Ruhig angehen lassen...

...aber 70km sind auch auf Asphalt viel

Veröffentlicht am 11. Juni 2015

Irgendwann muss ich doch eingeschlafen sein, zumindest wache ich irgendwann morgens auf und es ist hell draußen. Dennoch, unter einer erholsamen Nacht stelle ich mir etwas anderes vor. Da es nur bis 9 Uhr Frühstück gibt sehen wir zu, dass wir uns um 08:30 Uhr im Frühstücksraum befinden. Scheinbar sind wir die letzten, jedenfalls ist außer uns und dem Personal niemand zu sehen. Stefan frühstückt mal so richtig schottisch mit Black Pudding und weiß der Henker was noch alles. Mir reicht ein normales “continental” Frühstück, das aus Müsli, Früchten und Toast besteht.

Da meine Beine von gestern noch platt sind und Stefan mein Gejammer wahrscheinlich nicht mehr ertragen kann, beschließen wir es heute ruhiger angehen zu lassen. Wir ziehen uns um, schnappen uns die Bikes und machen uns auf den Weg. Wir radeln einer gut ausgebauten und recht breiten Straße entlang, auf der wir zahlreiche Wanderer überholen. Schließlich mündet die Straße in einen Wanderweg nach Inversnaid. Auch hier gibt es viele Wanderer, was darauf zurückzuführen ist, dass es sich bei der Route um einen Teil des West Highland Way handelt. Am Anfang ist der Weg noch gut fahrbar, aber irgendwann kommen heftige Stufen, Treppen (hoch und runter), und Bachüberquerungen, so dass wir öfter das Bike schieben und auch tragen müssen.

Nach den 10km West Highland Way erreichen wir einen tollen Wasserfall bei Inversnaid, ein kleines Örtchen am Loch Lomond, das scheinbar nur aus ein paar Häusern besteht. Wir planen unsere weitere Route und beschließen einfach mal den Berg hoch zu fahren und dann irgendwie wieder zurück. Schließlich wollen wir es ja ruhiger angehen lassen… Wir kämpfen uns also zunächst die Straße hoch und gelangen an einen grünen Zaun, der gerade von zwei Männern gestrichen wird. Der jüngere von beiden quatscht uns an, dass wir nicht so viel auf die Autofahrer achten sollen - in Schottland gilt, dass Radfahrer auf der Straße vorrecht haben und sogar nebeneinander fahren dürfen. Also müssen die Autofahrer auf uns aufpassen. Spannend, aber so 100%ig darauf verlassen möchte ich nicht. Wir erzählen noch ein bisschen, bevor wir weiter fahren.

Wir machen einiges an Strecke gut, fahren an einem See vorbei an deren Ende eine Ruine ist. Leider können wir diese nicht anschauen, denn das Gelände ist abgesperrt. Schade. Wir überlegen wieder welche Richtung wir einschlagen. Stefan überredet mich um den Loch Katrine herum zu fahren, weil wir da bestimmt einige Höhenmeter sparen, da wir nicht über die Gebirgskette drüber müssen, vor der ich ziemlich Respekt habe. Ich hätte genauer auf die Karte schauen sollen, denn letztendlich bedeutete das eine insgesamt 70km lange Tour bis nach Balmahar, wo wir schon am Vortag gegessen haben. Mir kommt die grandiose Idee von dort den Wasserbus zurück zum Hostel zu nehmen, so dass wir - in meiner Welt - am Ende nur noch den Berg hinunter rollen müssen.

Den Berg runter müssen wir laut Wegfindung auch jetzt, was wir gerne tun. Unten angekommen finden wir ein Cafe an einer Spitze des Loch Katrine, genehmigen uns einen Drink und fahren einmal die komplette West-Nord-Küste des Sees ab, die vollständig Auto-frei ist. Unterwegs treffen wir mehr Deutsche als Schotten (mit den einen quatschen wir und ich lasse mir ein Sonnencreme-Refresh geben) und gelangen schließlich zum südöstlichen Zipfel des Sees, der sehr auf Tourismus ausgerichtet ist - es werden Bootsfahrten angeboten, es gibt ein Café, einen Fahrradverleih, öffentliche Toiletten, etc. Wir ziehen uns jeweils eine gebackene Kartoffel rein, trinken etwas und fragen den Typen vom Fahrradverleih, wie wir am besten nach Balmahar kommen. Er ist ziemlich erstaunt, dass wir so weit noch fahren wollen (wir sind schon gut 5 Stunden unterwegs) und nennt uns einen Weg, den wir auch einschlagen. Die Straße windet sich in der prallen Sonne die Berge hoch, so dass man ständig sieht, wo man noch hin muss. Ziemlich langsam und ziemlich fertig habe ich das Gefühl nie anzukommen, doch schließlich windet sich die Straße fast genauso wieder ins Tal hinab. Natürlich auf Asphalt. Normalerweise würde ich etwas wie “die schönen Höhenmeter” denken, aber ich bin wieder an dem Punkt angekommen an dem mir fast alles egal ist und ich nur noch ankommen möchte. Als wir den ersten Ort, den wir auf der Route ansteuern (Aberfoyle) fast erreicht haben, findet Stefan in dem rechts von uns gelegenen Wald eine kleine Einfahrt zu einem Trail, der uns möglicherweise auch dort hinbringen kann. Und schließlich gibt es doch noch eine richtig schöne und auch schnelle Abfahrt: Durch ein Lavendelfeld, das toll duftet und wieder in den Wald hinein, in dem es recht steil runter geht.

Wir fahren durch Aberfoyle, halten uns am Ende rechts und fahren am berühmten(?) “Rob Roy Cafe” vorbei und quälen uns wieder den Asphalt auf einer viel befahrenen Straße entlang. Wir folgen der Beschilderung Richtung Dreymen, biegen ab und der Verkehr wird zum Glück deutlich ruhiger. Scheinbar befinden wir uns jetzt auf einer ausgeschilderten Rad-Route und wir stellen fest, dass die Schotten den Radfahrern ordentlich etwas abverlangen, denn die nachfolgenden langen geraden sind mit teilweise richtig steilen Anstiegen bespickt. Für diese haben wir natürlich schon im Oberbergischen trainiert - von Niedersessmar hoch nach Alferzhagen. Bringt aber nichts, ich kann fast nur noch jammern und hoffe, dass ich Stefan nicht zu sehr auf die Nerven gehe. Mittlerweile hat auch mein Garmin Edge aufgegeben - der Akku ist leer, weshalb der Entfernungszähler bei 65km stehen bleibt. Schließlich erreichen wir die Spitze, bestaunen ein phantastisches Panorama und fahren den Berg herunter. Irgendwo wollen wir rechts abbiegen, um nicht komplett von Dreymen nach Balmahar an der Straße fahren zu müssen. Die erste Einfahrt verpassen wir, die zweite allerdings nicht. Und wieder haben wir uns “zum Glück” verfahren: Es erwartet uns eine schöne Abfahrt, die wir dankbar mitnehmen. Wir überqueren eine Schafsweide auf der die Schafe vor uns fliehen - ein schönes Bild, leider schafft Stefan es nicht rechtzeitig die GoPro anzuwerfen. Wir erreichen die Verbindungsstraße hinunter nach Balmahar, wo wir fertig, aber echt zufrieden mit uns jeweils einen “Double Up” Burger verdrücken. Als wir nach der längeren Pause wieder aufs Rad steigen merke ich - es geht gar nichts mehr. Jede Anspannung in den Beinen schmerzt und ich bekomme nicht mehr ansatzweise Druck aufs Pedal. Wir rollen zur Water-Bus Station und stellen fest, dass der letzte um 15:30 Uhr abgelegt hat. Wir haben mittlerweile 19:10 Uhr - also knapp verpasst. Völlig demotiviert und voller Scham bitte ich Stefan mich zurück zu lassen und später mit dem Auto aufzulesen. Er gibt Gas und ich lege mich auf die Mauer in die Sonne und beobachte eine ablegende Yacht und einige Jungs, die ins Wasser springen. Irgendwann wird es mir zu unbequem und stelle fest, dass man in der Sackgasse sehr schlecht wenden kann. Also rolle/schiebe ich zurück zu der Kreuzung, wo Stefan herunter kommen muss. Eine gefühlte Stunde später beschließe ich ihm schon einmal entgegen zu schieben. Ich habe die erste Anhöhe erreicht, als ich ihn in der Ferne ausmache. Wir stellen fest, dass die aktuelle Stelle (eine Kuppe) nicht wirklich zum Einladen geeignet ist, also rolle ich den Berg hinunter zu einer Einfahrt, in der Stefan anhalten kann. Tatsächlich hat er nur eine dreiviertel Stunde gebraucht und das für ca. 16km. Dabei hat auf dem Weg zum Hostel sogar ein Auto überholt… Hut ab - unfassbar der Typ!

Im Hostel stellen wir fest, dass wir nicht mehr alleine auf dem Zimmer sind. Ein junger recht schüchterner Deutscher, ähh, Bayer, namens Rick, der den kompletten West Highland Walk wandert und Duncan, der das gleiche macht, allerdings mit einer Jugendgruppe. Dusche ist Gott(!) und wir lassen den Abend gemütlich mit Orangensaft, Cellagon T-Go und dem Schreiben dieser Zeilen ausklingen. Etwas später sind wir im Zimmer, Duncan und Rick schlafen bereits. Wir versuchen uns leise fertig zu machen. Der Versuch einzuschlafen wird von Jim torpediert, dem letzten Teilhaber unserer WG, der nicht ganz so leise ins Zimmer kommt. Kaum ins Bett gefallen schläft er bereits und liefert sich mit Duncan ein Schnarchduell. Verspricht eine ruhige Nacht zu werden. Not!


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