Wir beginnen unseren letzten Tag mit Bike-Anteil erst einmal mit Verschlafen. Stefans Wecker hat zwar um 8 Uhr geklingelt, aber wir knacken ganz entspannt bis 9 Uhr weiter. Als Stefan aus dem Fenster schaut meint er, es sieht gar nicht so schlecht aus. Als ich es ihm gleich tue frage ich mich, ob er das ironisch gemeint hat, weil der Himmel ziemlich grau ist, die Wolken tief hängen und Nebel aus dem Tal aufsteigt. Beim Frühstück fällt uns auf, dass der Bedienungsgehilfe eine gewisse Ähnlichkeit mit einem Igor hat, einem etwas zurückgebliebenen grobschlächtigen Diener. Zumindest ist er groß, schaut ein wenig schäl und die schiefen Zähne tragen irgendwie zum Erscheinungsbild bei. Wir revidieren unsere Meinung aber, als er der ankommenden jungen Dame Anweisungen gibt und alles im Speisesaal managt. Auch so im normalen Umgang ist er sehr nett und interessiert. Der Franzose kommt aus der Küche und fragt uns nach unseren Frühstückswünschen. Er rümpft die Nase, als ich ein vegetarisches Frühstück ordere. Trotzdem bekomme ich einen Teller mit frisch gebratenem Gemüse, Champignons, Baked Beans und einer halben Avocado, die ich jedoch Stefan gebe, der schon ganz neidisch darauf geschielt hat. Wir sind etwas unsicher, ob wir das Frühstück nun bezahlen müssen oder nicht, aber als wir aufstehen und uns Igor einen schönen Tag wünscht, sind wir recht zuversichtlich, dass wir so gehen dürfen.
Schon beim Vorbereiten unserer Bikes stellen wir fest, dass in Glentress etwas mehr los sein dürfte, als wir das von den anderen Parks kennen. Direkt unterhalb von uns steht ein kleiner Bus mit Anhänger, der umgeben ist von einer Schaar Leuten, die aus diesem allerlei Bikes und Zubehör holen. Der Eindruck bestätigt sich, dass Glentress voll ist, als wir an die Station mit Bikeshop und Cafe kommen. Hier steppt der Bär. Da wir zu faul sind den kleinen Berg hochzufahren, um auf die Karte der Trails zu schauen oder zurück am Auto die Faltkarte von Glentress zu holen, kauft Stefan fix eben noch eine Karte und begründet die Entscheidung damit, dass wir die Parkgebühren gespart haben. Die schwarze Route ist mit 30km angegeben, die rote mit 19km. Nachdem Stefan nachgefragt hat wie schwer die schwarze ist und ihm versichert wurde, dass sie viel, viel, viel, viel einfacher als die Laggan Wolftrax ist, wollen wir sie unter die Stollen nehmen.
Wir strampeln über Serpentinen hoch und stellen fest, dass wir ausnahmsweise mal nicht die langsamsten sind, sondern im Gegenteil ziemlich viele Leute einholen. Eine ganze neue Erfahrung für mich! Neben dem eigentlichen Uphill sind gelegentlich halbe Baumstämme abgelegt, auf denen man seine Balance-Fähigkeiten testen kann. Zusätzlich gibt es noch eine Abkürzung für die Befahrer der schwarzen Route, die aus zwei ziemlich hohen Stufen und einer steilen, steinigen Stelle besteht. Stefan und ich failen beide. Obwohl der Anstieg insgesamt sehr lang ist, vergeht die Zeit doch ziemlich schnell. Weiter geht es den Berg hoch, vorbei an einer Übungsanlage für angehende Downhiller, wo sich die schwarze von den anderen Routen abspaltet. Ab dort wird es ziemlich einsam, wir werden nur von einem recht jungen Kerl mit einem Hardtail überholt, so dass ich mich schon frage, ob die Schwarze wirklich so einfach ist. Teilweise wird es jedoch recht steil und schließlich geht es auch ein Stück runter, vor dessen Einstieg der Biker von eben seinen Helm anzieht. Ich frage noch, ob ein Downhill kommt, aber er verneint und berichtet, dass es nur eine Stelle weiter hinten gibt, die recht schwer ist. Stefan und ich geben Gas. Richtig viel Abfahrt kommt nicht, so dass wir wieder ein Stück hoch müssen und machen an der besagten Stelle Pause. Der Kollege von gerade schließt zu uns auf und nach ein wenig Small-Talk und kurzer Musterung unserer Bikes schickt er uns vor. Ein paar Dicke Steine und kleinere Stufen auf einem recht steilen Stück zwingen uns zum langsam fahren, allerdings ist es auch nicht schwieriger als andere Dinge, die wir schon bewältigt sind. Es folgt wieder ein sehr langer Uphill, der teilweise auch sehr steil ist. Bei einer weiteren Pause werden wir wieder vom Hardtail-Mann überholt, den wir ab da nicht wieder sehen. Weiter oben stelle ich fest, dass irgend etwas an meinem Vorderrad ziemlich eklig quietscht. Nach einem kurzen Blick auf die Bremse finden wir auch den Grund - die Beläge sind vollständig abgefahren. Ich ärgere mich etwas, dass ich da nicht eher dran gedacht habe, zumal ich noch welche im Auto habe, bin aber zu faul die Beläge von hinten nach vorn zu wechseln. Also geht es ab dort fast nur noch mit der Hinterradbremse weiter.
Der Anstieg auf den Berg scheint sich ewig hinzuziehen. Die 300Hm-Marke fällt, schließlich auch die 400Hm Marke. So haben wir bereits etwa 450Hm gesammelt, als wir an einer Hütte auf dem Berg ankommen. Wir genießen die Aussicht und ich stelle fest, dass ich bei 450 Hm in den Beinen schon bedeutend erschöpfter war. Das Training der letzten zwei Wochen scheint sich endlich auszuzahlen. Wir studieren den Plan und überlegen, ob wir einen Teil der roten Route in die schwarze übernehmen, da uns Mr. Hardtail erzählt hat, dass diese Passage in der roten sehr schön ist. Mit meiner ausgelaugten Bremse würde ich allerdings lieber darauf verzichten und zunächst das Problem beheben. Also spinnen wir den Wahnwitzigen Gedanken nach der schwarzen Tour einfach noch die rote zu fahren. So richtig glaube ich nicht dran, aber mal schauen.
Weiter geht es noch ein wenig um den Berg hoch, bevor der Trail in eine schön flowige Abfahrt mit ein paar dickeren Steinen übergeht. Wir feiern die Abfahrt und strampeln schon wieder den nächsten Anstieg hoch auf den höchsten Abschnitt der Tour mit 600 Metern Höhe. Dort pausieren zwei ältere Biker aus Glasgow, mit denen wir etwas quatschen und die schon recht beeindruckt sind, was wir die letzten zwei Wochen so alles gemacht haben, sagen aber auch, dass man alleine in Glentress locker eine Woche verbringen kann, da es neben den 7stanes auch noch jede Menge andere Wege gibt. Sie geben uns noch die Empfehlung statt der Beschilderung zu folgen zunächst in den Wald auf einen neuen Trail einzusteigen, der Teil der schwarze Route werden soll, aber noch nicht richtig integriert ist. Gesagt getan und so geht es bis zum nächsten Waldweg um enge Kurven und für einen schwarzen Trail ziemlich glatten Boden. Wir folgen wieder den Wegweisern und tauchen wieder in richtig tolle Abfahrten mit engen Kurven, Anliegern und jeder Menge dickerer Steine, die den Abstieg für mein Bike schon recht ruppig gestalten. Ich wünsche mir mindestens 20 Mal eine funktionierende Vorderradbremse und eine Kurventechnik, die den Namen auch verdient. Trotzdem habe ich auch eine Menge Spaß, so dass ich langsam nicht mehr sicher bin, ob Ae Forest wirklich der beste 7Stanes ist. Die schwarze Route windet sich weiter den Berg hinunter, schickt uns wieder ein paar Anstiege hoch und uns wird richtig warm. Kein Wunder, denn die Wolkendecke ist aufgerissen und inzwischen scheint sogar die Sonne. Nach einer von vielen Abfahrten treffen wir eine ganze Gruppe von Britischen Bikern, die gerade eine Panne haben und quatschen etwas mit ihnen. Es geht mit dem üblichen Small-Talk los, ob wir im Urlaub sind, wo wir schon gewesen sind, etc. Als wir ihnen dann berichten welche Stationen wir bereits alle abgerissen haben erstarren sie fast vor Ehrfurcht und es fallen Sprüche wie “I knew the Germans work hard, but not THAT hard!” und “They know our country better than we do!”. Das erfreut uns natürlich sehr und hinterlässt das Gefühl, dass wir nur alles richtig gemacht haben können. Wir fahren weiter, bis wir zu der Abfahrt “Deliverance” kommen und hier wird ordentlich “delivered”. In langen Serpentinen mit steilen Kurven, einigen Sprüngen und ruppigem Gelände windet sich der Trail den Berg hinunter und schließlich am Hang entlang. Ich höre von hinten jemanden schreien und einer der Jungs von vorhin ballert auf dem Trail an mir vorbei und überholt sogar noch Stefan, als er am nächsten Anstieg, der es auch richtig in sich hat, auf seine Kollegen wartet. Die nächsten Abfahrten sind alle etwas technischer. Dicke Wurzeln, große Steine mit Stufen säumen unseren Weg und tiefe Löcher im Weg schütteln mich ordentlich durch. Schließlich vereinigen sich die rote und schwarze Route wieder und die nachfolgenden Abfahrten werden etwas schneller. Aber keineswegs langweilig! Über schön angelegte Sprünge, Anlieger, Brücken und Northshores gleiten wir ins Tal hinab. Noch ein paar kleinere Anstiege, eine Abfahrt mit einer guten Mischung aus Technik und Flow und wir gelangen ans Ende der 30km langen und mit ca. 1000Hm schon recht anspruchsvollen Tour.
Wir kehren zunächst im Cafe ein, wo wir auch die Truppe mit den lustigen Sprüchen wieder treffen. Sie erklären uns für verrückt, dass wir noch die rote Runde fahren wollen, sind aber sehr auf die Videos unserer ganzen Touren gespannt, so dass wir ihnen noch die Adresse von Stefans Webseite geben, bevor wir zum Auto zurück rollen, um uns der Bremse anzunehmen. Das Austauschen der Beläge gestaltet sich leider als recht schwierig. Obwohl wir die Bremskolben zurück schieben, bleibt nicht mehr genug Platz für die Scheibe. Nach zahlreichen versuchen, Tricks und garantiert nicht materialschonenden Experimenten bekommen wir das Rad inklusive Scheibe zwar wieder in die richtige Position, allerdings schleift die Bremse dermaßen stark, dass an ein vernünftiges Fahren nicht zu denken ist. Wir suchen also den Bikeshop auf und fragen einen der Angestellten, ob er mal eben schauen kann. Er diagnostiziert zu viel Flüssigkeit in der Bremse, hat aber keine Zeit es selbst zu machen. Also erklärt er uns kurz was wir machen müssen, leiht uns noch einen kleinen Torx und verschwindet wieder. Wir schaffen es tatsächlich etwas Dot herauszuholen und siehe da: Das Rad dreht sich wieder! Glücklich und stolz, dass wir es selbst geschafft haben, geben wir den Torx mit einem kleinen Trinkgeld zurück und nehmen die rote Route in Angriff.
Einen großen Teil des Aufstiegs kennen wir bereits, da dieser mit der schwarzen gemeinsam verläuft. Inzwischen ist es auch schon ziemlich leer auf den Wegen geworden. Der Himmel ist mittlerweile richtig schön blau und die Sonne knallt auf uns herab. Wir freuen uns dermaßen darüber, dass Schottland es noch einmal so gut mit uns meint, dass ich schon anfange irgend einen poetischen Quatsch zu faseln. Wir drehen noch eine Runde über den Downhill-Übungsparcours, auf dem einiges los ist und segeln über Steilkurven und jede Menge Tables wieder auf die rote Route zurück. An der Stelle, wo es zur ersten Abfahrt der roten Tour kommen soll, stellen wir etwas enttäuscht fest, dass diese gesperrt ist. Es liegen aber so viele Bäume auf dem Weg rum, dass wir das gut nachvollziehen können. Also fahren wir die Umleitung und weiter einen recht steilen Anstieg hoch. Wir wundern uns, dass wir noch einmal auf über 500 Meter Höhe gelangen und beschließen, dass dies aber die Auffahrt sein muss, die wir in die schwarze Runde hätten integrieren können. Als wir dann in den Trail einsteigen bricht wieder eine Flow-Lawine über uns herein. Richtig schöne Kurven und springbare Tables lassen unsere Herzen höher schlagen. So kommt es, dass sich regelrechte Euphorie in mir ausbreitet und ich darüber schwadroniere, wie super hier doch alles ist.
Am Ende des Trail haben wir immer noch fast 200 Hm zu viel gegenüber dem Start, was uns für den weiteren Verlauf der Route sehr optimistisch stimmt. Nach einem weiteren Uphill folgt ein weiterer Downhill, auf dem jetzt auch ein paar dicke Wurzeln und Löcher im Weg zu finden sind. Alles egal, wir brettern einfach überall drüber und treffen uns langsam doch etwas geschafft, aber glücklich am Ende des Trails wieder. Als die schwarze und rote Route wieder zusammenführen und es eigentlich zu einer der letzten Abfahrten geht, entdecken wir oberhalb noch einen Weg, den wir nicht so richtig zuordnen können. Ein Blick auf den Plan zeigt uns schnell: Das wäre die Abkürzung der roten Linie gewesen. Da ich noch Kraftreserven spüre und es unser letzter Tag ist, schlage ich vor noch einmal die Waldautobahn hoch zu strampeln und diese Abfahrt auch noch mitzunehmen. Ich glaube Stefan wundert sich in diesem Moment sehr über mich, jedenfalls lässt der Spruch “Der Roland hat Blut geleckt” das vermuten. Es stellt sich heraus, dass es eine gute Entscheidung war die Mühe auf uns zu nehmen, da sich hier noch eine richtig schöne Abfahrt mit kleinen Northshore-Elementen, knackigen Kurven vorbei an Bäumen und kleineren technischen Stellen versteckt hält. Der Rest der Route ist uns schon von der schwarzen Runde her bekannt, wodurch sie uns aber sogar noch mehr Spaß bereitet, da wir nun die Kurven und Kombinationen aus Sprüngen, Northshores und Brückenüberquerungen besser einschätzen können. Am Ende angekommen verabschieden wir uns etwas wehmütig von Glentress und damit von unserem vorerst letzten Bike-Ausritt in Schottland.
Da die Sonne so schön scheint beschließen wir vor der Dusche noch auf der Terasse des Hotels zu verweilen, erzählen ein wenig über die tollen Dinge, die wir erlebt haben und lassen uns von der Sonne wärmen. Nachdem wir geduscht haben, versuchen wir im Hotel noch einen Platz fürs Abendessen zu bekommen, aber jeder Tisch ist belegt. Der Laden scheint auch ein sehr gut gehendes Steak-Restaurant zu sein. Also kutschiert Stefan uns nach Peebles, wo immer noch Ausnahmezustand auf Grund des Beltane Festes herrscht. Aus dem Grund sind so ziemlich alle Lokalitäten überfüllt, so dass wir bei einem Inder einkehren, der noch Plätze für uns frei hat. Deutlich geschafft von den Anstrengungen des Tages fällt unsere Kommunikation eher spärlich aus, was aber nicht weiter schlimm ist. Das Essen ist sehr gut, wenn auch relativ teuer. Schließlich bezahlen wir und fahren zurück zum Hotel, wo ich noch mit meiner letzten Kraft diese Zeilen hier schreibe, während Stefan schon in der Koje liegt.