Als ich am nächsten Tag aufwache stelle ich fest, dass ich sogar ziemlich gut geschlafen habe. Diese Camping-Hütte ist einfach cool. Wir betreiben unsere morgendliche Hygiene und begeben uns zum Frühstück. Das kostet zwar extra, liegt aber völlig im Rahmen. Stefan wählt sogar die vegetarische Variante und ist von den veggie Würstchen (Mit Gemüse-Käse-Füllung) recht angetan. Wir erfragen eine mögliche Route für unsere heutige Bike Tour am Info-Point. Mit Hilfe der Karte gelingt es uns auch die beschriebenen Wege nachzuvollziehen und so beschließen wir diese in Angriff zu nehmen, obwohl das Wetter nicht sonderlich vielversprechend aussieht. Zurück an der Hütte angekommen ziehen wir uns also fix um und satteln unsere Drahtesel.
Auf geht es ins Tal runter die Straße entlang. Bald kommen wir über einen Feldweg an ein Gatter mit dem Hinweis “Highland Cattle”. Etwas später begegnen wir einer kleinen Herde, vor der wir etwas Respekt haben, insbesondere weil auch ein Bully dabei steht. Wir geben nach und tragen unsere Bikes in respektvollem Abstand an den Tieren vorbei. Ich witzel noch, dass sie mir ja eigentlich nichts tun dürfen, weil ich doch Vegetarier bin, aber Stefan meint, dass das nicht unbedingt auf Gegenseitigkeit beruht… Mmh, ich will’s nicht ausprobieren! Weiter den Weg entlang entdecken wir sogar einen Grabstein - war da einer nicht schnell genug?
Der Weg wird schmaler und wir kämpfen uns den Berg mit wenig, aber stetiger Steigung hoch. Insgesamt ist der Pfad recht gut fahrbar, es gibt kaum Stellen, an denen wir absitzen müssen. Es folgt eine kleine Abfahrt, die dank nur weniger größerer Steine recht schnell ist und viel Spaß bereitet. Bei einer Flussüberquerung verschätzt Stefan sich mit der Tiefe und beide Füße werden nass. Wir fahren weiter und begegnen einer ganzen Horde von Menschen (8 oder so), die wandern - so viel zur gebuchten Einsamkeit! Mit der Zeit fängt es an zu regnen und der Wind wird stärker. Mittlerweile nehmen wir keine Rücksicht mehr auf den Matsch und nehmen die Abfahrten und Pfützen so mit, wie sie gerade kommen. Macht Spaß, insbesondere wenn man sowieso eingesaut ist - da kommt’s dann auch nicht mehr drauf an. Bei einem steilen Stück Anstieg werde ich fast vom Weg gepustet, so dass ich lieber schiebe. Oben angekommen folgt die nächste kleine Abfahrt, doch leider stellt sich nach kurzer Zeit heraus, dass Stefan hinten einen Platten hat und wir suchen eine windgeschützte Stelle. Das gelingt uns zwar nur mäßig, aber egal, hilft alles nichts, ein neuer Schlauch muss her! Eine gute halbe Stunde später geht es endlich weiter - inzwischen sind wir schon gut durchnässt und etwas durchgefroren. Durch die immer wieder auftretenden sturmartigen Böen müssen richtig aufpassen und massiv gegenlenken. Wir sind uns beide sicher, dass wir bei so einem Wetter noch nie biken waren. Die Anstiege und Abfahrten wechseln sich ab. Trotz des fiesen Wetters macht es viel Spaß. Ich bin überzeugt, dass meine Schuhe mittlerweile genauso nass sind wie Stefans. Die einzige Wärme, die ich noch spüre, kommt von der Bewegung.
Schließlich gelangen wir ans Ende des Trails und uns steht der Rückweg über die Straße bevor. Der anhaltende Regen und der kalte Wind motivieren so schnell wie möglich zu fahren, aber meine Beine geben nicht so richtig viel Speed her. Irgendwann sage ich zu Stefan “Weißt Du was das Gute an dem Wind ist? Das Wasser, was die Reifen hochwirbeln wird direkt zur Seite weg gepustet.” Stefan klopft mir anerkennend auf die Schulter, dass ich jetzt auch endlich Optimist bin. Weiter die Straße entlang kommen wir an einem einsamen Straßenarbeiter vorbei, der gerade einen Passing Place planiert. Ich rufe ihm zu “Nice weather!” und er ruft zurück “Beautiful, eh?!”, ich zeige ihm die Daumen-Hoch-Geste und gebe gedanklich ein Like. Leider dreht der Wind auf Gegenwind und das Vorankommen wird noch beschwerlicher.
Ich frage mich öfter warum ich mir das eigentlich antue. Laut Navi sollten es noch etwa 10km sein, aber vor etwa 10km hatte ich schon mal gehofft, dass es nur noch 10km sind. Die Straße zieht sich, wir werden ständig von den selben Autos überholt und endlich nach einer gefühlten Ewigkeit und etwa 22km Straße bei der Kälte rollen wir in Applecross ein. Wir trampeln schnell den Berg hoch zum Camping-Platz wo wir die Bikes und unsere Beine abspritzen und vom gröbsten Dreck befreien. Unsere Klamotten sind eh nass, insofern macht das auch nichts mehr.
Als wir die Sachen zum Duschen holen vergesse ich irgendwie die Hälfte, so dass ich zweimal zurück zur Hütte renne und trotzdem noch nicht alles habe. Also geht’s barfuß zum Gemeinschaftsbad. Die Dusche tut richtig gut - weil meine Gliedmaßen so kalt sind ist es anfangs viel zu heiß, nach ein paar Minuten auftauen kann ich mir aber keinen schöneren Ort auf der Erde mehr vorstellen… Anschließend sammeln wir unsere schmutzige Kleidung zusammen und nach genauem Studium der Bedienungsanleitung waschen wir unser Zeug in der Waschmaschine. Wir verbringen die Zeit mit einem gemütlichen Imbiss in unserer Hütte. Die Zeit zum “trocknen” unserer Funktionskleidung auf der kalten Stufe des Wäschetrockners verbringen wir in den Sesseln bei der Rezeption. Ich schreibe Urlaubsgrüße per Whatsapp und chatte ein wenig mit meiner Schwester. Irgendwann ist die Zeit rum und wir holen unsere leider immer noch ziemlich feuchte Wäsche aus dem Trockner. Also hängen wir alles an Stefans Militärwäscheleine in der Hütte auf und begeben uns runter ins Dorf, etwas essen. Dort versammelt sich anscheinend die gesamte Bevölkerung diesseits des Gebirgspass, jedenfalls ist es sehr voll. Wir schließen mit einem sehr sehr leckeren Nachtisch ab (Hot Choclate Fudge Cake - geiler Scheiß!) und schieben uns wieder den Berg rauf. Stefan findet die Wortspiel-Rätsel irgendwie witzig (z.B. “Was ist süß und schwingt sich von Ast zu Ast? Tarzipan!”), aber scheinbar trotzdem gleichzeitig doof - jedenfalls sagt er, er will woanders schlafen…
Wir verbringen den Abend mit Lesen, Wäsche umhängen und “Faster Than Light” spielen. Außerdem stelle ich meine Schuhe an die Heizung, denn die sind noch immer sickenass - hoffentlich morgen nicht mehr. Als es schließlich Zeit zum Schlafen ist verhält sich Stefan wie ein Vorzeigecamper und geht (dieses Mal nicht im Schlafanzug) zu den sanitären Einrichtungen, während ich mir die Zähne einfach hinter der Hütte putze. Ich schaffe es noch meinen Bericht zu schreiben, bevor mir schließlich die Augen zufallen.